Vagusnerv und die Sprache unserer Emotionen
Hallo du feiner Mensch, schön bist du da!
„Wenn Emotionen wie Wellen kommen und gehen,
ist der Vagus der Strom, der uns trägt –
zurück zur Mitte, zurück zu uns selbst.“
Emotionen sind Botschaften des Körpers
Manchmal überrollen uns Gefühle scheinbar aus dem Nichts. Eine harmlose Bemerkung, ein Blick, ein Geruch – und plötzlich sind wir innerlich aufgewühlt, angespannt, überfordert oder wie gelähmt. Vielleicht reagierst du dann mit Rückzug, wirst wütend, beginnst zu weinen oder spürst einfach nur, dass du dich nicht mehr „im Körper“ fühlst. Und während dein Verstand noch versucht zu verstehen, was da eigentlich los ist, hat dein Körper, dein autonomes Nervensystem (tickt unwillkürlich) längst entschieden: Ich bin nicht sicher. Diese Reaktionen sind keine Schwäche, kein „Zuviel“ und schon gar kein Fehler. Es sind Botschaften. Botschaften deines Körpers, deines Nervensystems, deines inneren Alarmsystems. Sie sagen: Etwas hier fühlt sich für mich bedrohlich an. Und diese Botschaft kommt oft aus viel älteren Erfahrungen als aus dem jetzigen Moment.
Alles was du fühlst macht Sinn!
Gefühle entstehen nicht im luftleeren Raum. Sie entstehen im Körper. Sie sind untrennbar mit körperlichen Zuständen verbunden – mit unserer Atmung, dem Herzschlag, der Muskelspannung, der Haltung, unserem Gesichtsausdruck. Der Körper fühlt mit. Mehr noch: Der Körper ist der Ort, an dem Emotionen entstehen, erlebt und ausgedrückt werden.
Der amerikanische Neurowissenschaftler Dr. Stephen Porges hat mit der Polyvagal-Theorie ein Modell entwickelt, das erklärt, wie eng Gefühle und Körper miteinander verwoben sind – und warum wir manchmal auf bestimmte Reize übermäßig oder scheinbar irrational reagieren. Die zentrale Erkenntnis der Theorie: Unser autonomes Nervensystem entscheidet unbewusst und blitzschnell, ob wir uns sicher fühlen oder bedroht – lange bevor unser Verstand sich ein Bild machen kann. Dieser automatische Bewertungsprozess wird Neurozeption genannt.
Auf dieser Grundlage trifft unser Nervensystem Entscheidungen. Wenn es Sicherheit wahrnimmt, bleiben wir offen, präsent, neugierig. Wir können in Kontakt treten, Mitgefühl empfinden, reguliert atmen. Unser sogenannter ventraler Vagusnerv ist aktiv – ein Teil des parasympathischen Nervensystems, der für Verbindung, Beruhigung und soziale Interaktion steht. Wir fühlen uns dann körperlich ruhig, innerlich stabil, zugewandt. Unsere Gefühle und Emotionen sind in diesem Zustand: hell, schön, offen, neugierig, zuversichtlich, freundvoll und verbunden.
Wird jedoch – bewusst oder unbewusst – eine Gefahr wahrgenommen, schaltet der Körper um. Zuerst aktiviert sich das sympathische Nervensystem: Der Herzschlag beschleunigt sich, wir atmen flacher, die Muskeln spannen sich an. Wir sind im Kampf- oder Fluchtmodus, bereit zu reagieren. Unsere Gefühle und Emotionen sind in diesem Zustand: Angst, Wut, wir sind gereizt, die Welt scheint gefährlich, unfreundlich, Gefühle wie «ich muss immer, ich sollte noch, Chaos im Kopf» …Wenn selbst das nicht als sicher genug erscheint, folgt die dritte Reaktionsebene: Der dorsale Vagus, der uns in eine Art inneren Rückzug versetzt – wir fühlen: nichts, abgeschnitten, leer, ohnmächtig oder wie betäubt, hoffnungslos, keine Zuversicht, benebelt, die Welt scheint dumpf, wir sind nicht verbunden mit uns und anderen Menschen. Das ist der Zustand der Erstarrung.
Emotionen entstehen im Körper – nicht nur im Kopf
Diese Schutzreaktionen sind überlebenswichtig. Sie haben uns – besonders in der Kindheit – oft durch schwierige oder überfordernde Situationen gebracht. Unser Nervensystem hat gelernt, frühzeitig auf Gefahr zu reagieren, selbst wenn wir sie heute vielleicht gar nicht mehr bewusst wahrnehmen. Und genau hier liegt die Krux: Diese alten Muster speichern sich nicht nur im Kopf, sondern im ganzen Körper. In unserer Haltung, im Muskeltonus, in der Mimik, im Atem, in unseren unbewussten Bewegungen. Es sind automatisierte Reaktionen – und sie kommen wieder, wenn ein ähnliches Gefühl, Geräusch oder Bild etwas „Altes“ in uns antriggert. Das erklärt, warum manche Gefühle sich plötzlich viel zu groß anfühlen, zu heftig, zu tief. Sie gehören nicht nur zum Jetzt. Sie sind Spuren der Vergangenheit, die durch den Körper wieder wachgerufen werden. Situationen, in denen unser Nervensystem damals alles getan hat, um uns zu schützen – durch Rückzug, Wut, Erstarrung oder Überanpassung.
Ohne Körper geht nichts!
Aber es gibt auch eine andere Wahrheit: Unser Nervensystem ist nicht starr. Es ist formbar. Wir können lernen, diese Muster zu erkennen, zu regulieren und neue Erfahrungen zu machen. Und das geschieht nicht allein durch Verstehen, sondern über den Körper. Denn so wie der Körper Gefühle speichert, kann er sie auch verändern. Durch achtsame Körperarbeit, gezielte vagus-aktivierende Impulse und feinfühlige emotionale Begleitung kann unser System lernen: Ich bin jetzt in Sicherheit. Ich darf entspannen. Ich darf spüren. Ich darf neu wählen.
Alte Kindheitsschuhe endlich ausziehen – innerlich herauswachsen – Gefühle heller werden lassen
In der körperorientierten Therapie oder in der bewussten Selbstwahrnehmung beginnen wir, den Körper wieder zu „bewohnen“. Wir spüren, wo wir eng werden. Wo wir flach atmen. Wo wir uns anspannen, ohne es zu merken. Und wir beginnen, genau dort liebevoll anzusetzen: mit Bewegung, Atem, Berührung, Stimme oder einfach mit Stille. Manche sprechen davon, dass man die alten „Kindheitsschuhe“ endlich ausziehen darf – die, die einen einst geschützt haben, aber heute längst zu eng geworden sind. Und stattdessen neue, sichere Schritte gehen darf. Schritte, bei denen der Körper nicht mehr Alarm schlägt, sondern sich als sicherer Ort anfühlt.
Raum – für neue Gefühle
Diese Rückverbindung mit dem eigenen Körper ist oft der Schlüssel für echte Veränderung. Denn wenn der Körper sich sicher fühlt, kann auch die Psyche heilen. Dann entsteht Raum – für neue Gefühle, für mehr Kontakt zu sich selbst, für Mitgefühl, Ruhe, Lebendigkeit, Freiheit. Für ein Gefühl von „Zuhause in mir“.
Es geht nicht darum, Emotionen zu kontrollieren oder loszuwerden. Es geht darum, sie zu verstehen, im Körper zu spüren, sie zu begleiten – und mit ihnen zu leben. Denn Emotionen sind keine Störung. Sie sind Wegweiser. Und der Körper ist ihre Sprache.
Wenn du beginnst, deinem Körper zuzuhören, ihn ernst zu nehmen und mit ihm statt gegen ihn zu arbeiten, beginnt etwas Wunderbares:
Du kommst wieder bei dir an. Du wirst ganz. Und du darfst sein.
Indem wir Wunder Körper verstehen – können wir etwas tun
Hier setzt die Polyvagal-basierte Selbstregulation an. Der Schlüssel ist: nicht gegen die Emotion kämpfen, sondern den Körper darin begleiten, sich (wieder) sicher zu fühlen – wieder in den sicheren Hafen zurückzukehren. Das geschieht durch Übungen, die dem Nervensystem signalisieren: «Du bist jetzt in Sicherheit.» Es werden heute viele Übungen angeboten, was wundervoll ist, doch das Wissen ist ebenso wichtig. Wenn wir verstehen, dass jede Reaktion Sinn (ge)macht (hat), Wunder Körper verstehen – welches die Polyvagal- Theorie einfach und verständlich aufzeigt, ist das alleine schon sehr viel Heilung. Das erleben ich immer wieder – bei meinen Klienten, in meinen Kursen und an mir selbst. Lernen wir diese Zustände als «Polyvagal Leiter» zu verstehen, ist das ein grosser Schatz für unser Leben.
Die Polyvagal – Theorie beschreibt 3 Zustände – die damit verbundenen Gefühle, Emotionen und Körperreaktionen
1. Ventrale Vagusaktivität – Emotionale Sicherheit
- Körperlich: Ruhiger Herzschlag, tiefe Atmung, entspannte Mimik
- Emotionen: Freude, Mitgefühl, Neugier, Interesse, Nähe, Dankbarkeit
- Beziehungsebene: Wir fühlen uns verbunden, sozial offen, empathisch
- Beispiel: Du redest mit einem guten Freund, fühlst dich gesehen, bist offen und präsent
2. Sympathikus – Kampf oder Flucht
- Körperlich: Beschleunigter Puls, flache Atmung, Muskelanspannung, Fokus auf Bedrohung
- Emotionen: Angst, Wut, Frustration, Gereiztheit, Panik, Überforderung
- Beziehungsebene: Angriff oder Rückzug, Konflikt, Kontrolle, Reizbarkeit
- Beispiel: Du erhältst eine kritische E-Mail und dein Herz rast – dein Körper will reagieren
3. Dorsaler Vagus – Abschalten oder Erstarren
- Körperlich: Niedriger Puls, flache Atmung, Taubheit, Lähmung, Leere
- Emotionen: Hoffnungslosigkeit, Scham, Ohnmacht, Isolation, emotionale Taubheit
- Beziehungsebene: Rückzug, Dissoziation, Abkapselung
- Beispiel: Du bist überwältigt, ziehst dich zurück, spürst dich selbst kaum noch
Ich lade dich ein zu forschen – was tut dir gut
Was hilft in emotional schwierigen Situationen? Wende dich deinen Ressourcen zu, der Vagus liebt dies:
- vielleicht tut dir ein Spaziergang gut – der Vagus liebt Bewegung und Sport
- ein Gespräch mit einer Freund/in – jemand der dir einfach nur zuhört – für dich da ist – heilsame Co-Regulation
- was ist deine ganz persönliche Ressource? Vielleicht malen, stricken, kochen, tanzen, Musik hören…..
- deine Emotionen aufschreiben, diese malen, benennen, aussprechen
- die Wut zum Ausdruck bringen und entladen beim: schreiben, erzählen, joggen, stampfen, tanzen……..
- ein feiner Duft – ein feines Bad nehmen – ins Thermalbad gehen
- ein Buch lesen
- dir selbst Gutes tun
Ganz wichtig ist an dieser Stelle zu teilen: die Wut darf und soll zum Ausdruck gebracht werden – sonst fangen wir an zu grollen, richten diese unkontrolliert gegen uns oder gegen andere Menschen. Diese Wut zu Leben ist wichtig, um wieder in den ventral vagalen Zustand (da wo wieder schöne Gefühle und Verbundenheit möglich sind) zu wechseln. Wut ist Energie die raus muss! Wie machst du das: Joggen, Wandern, Bewegung, jemanden erzählen wie es dir geht – der andere hört nur aufmerksam zu und gibt dir den Raum DEINE Gefühle zum Ausdruck zu bringen, die Gefühle aufschreiben, …..
„Bewegen, spielen, tanzen –
in jeder dieser Freuden findet der Vagusnerv Ruhe und Stärke,
und wir kommen zurück zu uns selbst,
im Fluss der Freude, die uns lebendig macht.“
Lust auf eine kleine Übung
Die Schmetterlingsübung ist eine beliebte Technik zur Stabilisierung bei emotionalem Stress und wird häufig in der Traumatherapie verwendet, insbesondere im Rahmen der Methode EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing). Sie hilft, das Nervensystem zu beruhigen und das Gefühl von Sicherheit zu stärken. Die Übung ist auch für Kinder ein sehr schönes Tool.
Anleitung zur Schmetterlingsübung (auch „Butterfly Hug“ genannt):
- Bequeme Sitzposition einnehmen: Setze dich aufrecht hin, beide Füße auf dem Boden.
- Arme kreuzen: Lege deine Hände überkreuz auf deine Brust, so dass die Fingerspitzen unter deinen Schlüsselbeinen oder auf den Schultern liegen – wie die Flügel eines Schmetterlings.
- Abwechselnd klopfen: Klopfe oder Tappe nun sanft abwechselnd mit der rechten und linken Hand, mit den Fingerkuppen auf die Brust – im langsamen, gleichmäßigen Rhythmus zum entspannen oder schneller zum aktivieren/Energie aktivieren
- Augen schließen (optional): Wenn du dich dabei sicher fühlst, kannst du die Augen schließen und dich auf deinen Atem konzentrieren. Wenn du geübt bist, kannst du dir zusätzlich noch in deinen inneren Bildern vorstellen und erleben, was dir gut tut in diesem Moment. Vielleicht ein schönes Bad, dein Lieblingsruheort………..
Dauer: Die Übung kann 5 Minuten dauern oder länger, so lange, wie es sich gut anfühlt. Nach der Übung: Was hat sich verändert?
Wirkung: Fördert Selbstregulation, aktiviert beide Gehirnhälften (bilaterale Stimulation), reduziert Angst, Stress und Unruhe, unterstützt die Verarbeitung belastender Erinnerungen, hilft bei Blackouts….
„Der Vagusnerv ist die sanfte Umarmung der Sicherheit,
die uns auch in stürmischen Zeiten Ruhe schenkt,
und unsere Emotionen in friedliche Gewässer führt.“
Lust auf Wissen? Buchempfehlungen
„Komm wieder zu dir“ – Deb Dana (praktisch & leicht zugänglich)„Verkörperter Schrecken“ – Bessel van der Kolk (Trauma & Körper) „Die Polyvagal-Theorie“ – Stephen Porges (wissenschaftlich fundiert)